SEELENREISE.


Ich bin Dienstag in Jerusalem und möchte durch das ultraorthodoxe Viertel Mea Shearim laufen. Eine Freundin aus Tel Aviv empfiehlt mir, mich dem Verhaltenskodex ultraorthodoxer Frauen anzugleichen: Haare und Arme bedecken, langer Rock, gedämpfte Farben, hautfarbene Nylonstrümpfe und geschlossene Schuhe. Denn nichts am Körper einer Frau soll den Blick eines fremden Mannes auf sich ziehen. Meine Freundin rät mir darüber hinaus, den Männern nicht in die Augen zu schauen. Sondern den Blick immer leicht zu senken.

OK, es geht los. Die Verwandlung vor Ort geht ratzfatz. Über mein langes dunkles Sommerkleid ziehe ich eine langärmelige Bluse, mein Haar bedecke ich mit einem Kopftuch und die Beine mit Nylons. Ach ja, und die Flip Flops tausche ich gegen Turnschuhe. Uff. Fühlt sich schwer an. Ist bestimmt die Hitze, denke ich. Bei 27 Grad quäle ich mich durch die heißen Straßen Jerusalems. Das Viertel Mea Shearim liegt gut 1km nördlich der Altstadt.

Das Straßenbild verändert sich zunehmend. Die Männer tragen lange Bärte, schwarze Anzüge, Schläfenlocken und Hut. Die Frauen sind so wie ich gekleidet. Mit dem Unterschied, dass einige Perücken anstelle von Kopftüchern tragen, was verstörend wirkt, weil alle das gleiche glatte, halblange Haar und dasselbe Make-up tragen. Jede Frau hat 3-6 Kinder im Schlepptau und jede 5. ist schwanger. Da weder Internet noch Fernseher erlaubt sind in dieser Welt (die Handys sind koscher – man kann nur telefonieren), liest man Nachrichten über „Wandzeitungen“, die an einer der zahlreichen Plakatwände kleben. Willkommen im Mittelalter.

Ich flüchte in einen klimatisierten Bus, in dem ich hinten Platz nehmen muss, so wie alle Frauen dieser Gemeinschaft. An meiner Wunsch-Haltestelle außerhalb des Viertels angekommen, suche ich mir einen Schattenplatz, um mich wieder in Ulrike zu verwandeln. Was für eine Befreiung!

Auch wenn mein Mea Shearim-Aufenthalt nur von kurzer Dauer war, so hat das strenge Unterordnen was in mir ausgelöst. Ich habe kurzzeitig die Verbindung zu meinem höheren Selbst verloren. Jetzt weiß ich einmal mehr: Meine Seele will frei sein.

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