DER TON MACHT DIE MUSIK

Eine meiner Klientinnen, nennen wir sie Melanie Meier, arbeitet als Kundenberaterin bei einer Werbeagentur. Es herrscht Land unter. Um ein Harakiri-Projekt für einen Neukunden zeitlich abbilden zu können, heißt es für die kommenden Wochen: „Hallo 12-Stundentage, Adieu Wochenenden. Am Samstagmorgen, als Melanie eine Mail mit umfangreichen Kundenkorrekturen erhält und kurz bestätigt, dass sie prüft, inwieweit alle Korrekturwünsche im Rahmen des Timings vorgenommen werden können, fällt die Kundenreaktion plakativ aus: „Hallo Frau Meier, das war keine Bitte. Das war eine Ansage!!!!“

In den nächsten Tagen geht es munter weiter so. Der Ansprache-Stil bleibt gleich: Ein-Satz-Befehle, Ausrufezeichen und ein großer cc-Verteiler. Nach einer Woche täglicher Angriffe ist Melanie rasend vor Wut und ihre Geisterbahn im Kopf nimmt immer mehr Fahrt auf. Gedanklich kontert sie mit: „Ihr Ton passt mir nicht“, „sowas unverschämtes habe ich noch nie erlebt“ und „wie behandeln Sie mich eigentlich, ich bin nicht ihr Fußabtreter“.

Mit solchen, so genannten „Du-Botschaften“, zeigen wir symbolisch mit dem Finger auf den Gegenüber, machen ihm Vorwürfe und signalisieren, dass mit ihm was nicht stimmt und er sein Verhalten gefälligst ändern soll. Den Effekt solcher Du-Botschaften kennen wir alle: es geht dynamisch weiter in Richtung Eskalation. Und die Geisterbahn geht in die nächste Runde.

Mit Blick auf ihr Wertesystem erkennt Melanie schnell, dass ihr eine durch Respekt geprägte Zusammenarbeit wichtig ist. So wichtig, dass sie die Situation in einem persönlichen Gespräch klären will. Bei einem abendlichen Kundentelefonat, gespickt mit Respektlosigkeiten & Vorwürfen, unterbricht sie bestimmt aber höflich mit den Sätzen: „Wissen Sie, ich gebe mein Bestes und versuche im Rahmen des Timings alles möglich zu machen. Bin lösungsorientiert und höflich. Aber dieser Umgang, diese Art der Zusammenarbeit, tut mir nicht gut und frustriert mich. Ich möchte Sie bitten mir mit der gleichen Höflichkeit zu begegnen wie ich das tue.“

Melanies Emotionen schwanken nach dem Gespräch zwischen Erleichterung, dass sie sich für ihre Bedürfnisse stark gemacht hat und Sorge, dass sich der Kunde ggf. beim GF beschwert und ihr eine Abmahnung bevor steht. Ihre Sorge, so zeigt sich jedoch über Nacht, ist unbegründet. Denn der Umgang wird spürbar respektvoller. Melanie staunt, wie gut es tut die eigene Selbstwirksamkeit zu erfahren.

Der Ton macht die Musik – sagt der Volksmund. Noch kraftvoller ist es jedoch, wie diese Situation zeigt, die eigene Kommunikation inhaltlich umzustellen: von der Du-Botschaft zur Ich-Botschaft. Wenn ich mich authentisch zeige, in dem ich offen und ehrlich sage, wie es mir in der Situation wirklich geht, dann fühlt sich der Gegenüber nicht bedroht oder in die Ecke gedrängt – mein Ton ist automatisch weicher, weil ich nicht im Angriffsmodus bin. Ich öffne damit den Raum für eine neue Form des Miteinanders.

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