Close Up von Ulrike Krasemann - in den Straßen Tel Avivs.

LIEBESERKLÄRUNG.

Fünf Wochen Tel Aviv – und meine Seele will hier bleiben. Was macht man nur, wenn der Verstand den Rückflug gebucht hat, aber die Seele nicht weg will? 

In Tel Aviv bin ich voller Lebensenergie. Es ist mein Ort, mein Platz, wo ich hingehöre. Es gibt so viele Dinge, die mich berühren, nähren und faszinieren: die Kultur, die Lebenseinstellung der Menschen, die Sonne, die Religion, der Geruch, das Meer, die Musik, der Kaffee, die Fahrradwege, die Sprache, das Essen, die Herzlichkeit. Ich liebe einfach (fast) alles. Obwohl es natürlich 1000 Gründe gibt, ins sichere Deutschland zurückzukehren. Zum Beispiel musste ich während meines Aufenthaltes mehrmals in den Luftschutzkeller, größtenteils nachts. Die Huthis schießen wöchentlich ihre obligatorische Rakete in Richtung Tel Aviv ab. Zum Glück strahlt die Besonnenheit der Israelis auf mich ab. Einmal kommt der Alarm kurz vor einer Coaching-Session am frühen Abend, sodass ich meiner Klientin schnell schreibe: “Sorry, verspäte mich – Raketenalarm in Tel Aviv.” 10 Minuten später sitze ich an meinem Rechner und bin im Coaching-Modus. Back to normal.

Trotz des Krieges wirken die Israelis ausgeglichener als die Deutschen. Man überträgt hier nicht die eigene Unzufriedenheit oder die eigenen Ängste auf andere. In Hamburg zeigt man mir schnell den imaginären Mittelfinger, wenn ich mich mit dem Fahrrad ein paar Meter auf dem Bürgersteig bewege, oder mich nicht akkurat an der Supermarktkasse verhalte. Klar gibt’s hier auch heikle Situationen, die ich mit verursache. Na und? Dann weicht mir der entgegenkommende Passant oder Radfahrer eben kurz aus. Umgekehrt genauso. Man wertet einander nicht ständig ab. Das mag ich. Und beobachte und reguliere mein eigenes antrainiertes deutsches Dogma.

Was ich liebe, ist die Gastfreundschaft der Israelis. Zum Beispiel heute ist Yom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. In der Synagoge komme ich morgens mit meiner Sitznachbarin ins Gespräch. Nach fünf Minuten lädt sie mich am Abend zum traditionellen Fastenbrechen zu sich nach Hause ein. Johanna und ihr Mann Aaron haben +20 Leute an ihrer Tafel sitzen – Nachbarn, Familie und Freunde. Es ist ein fröhliches Beisammensein mit köstlicher Hausmannskost. Ich genieße den Austausch mit Einheimischen.

Hier wird es nun abends auch langsam kühler – der Herbst kündigt sich an. Nächste Woche um diese Zeit sitze ich in meiner ausgekühlten Wohnung im herbstlichen Hamburg. Wie soll ich den Hamburger Winter nur überstehen? Es sind die Erinnerungen, die mich durch die dunkle Jahreszeit tragen.

Tel Aviv, du bist meine große Liebe.
תל אביב, את אהבתי הגדולה

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