Immer wieder rauschen in den letzten Wochen die Begriffe Mutterliebe, Selbstfürsorge und Endlichkeit durch meinen Kopf. Vielleicht, weil meine 87jährige Mutter, die Ende April, als ich zu Besuch bin, minutiös ihre Beerdigung mit mir bespricht. Sie möchte es schön haben, sagt sie – dass all die Menschen kommen, die ihr wichtig sind. Sie zeigt mir anhand einer Namensliste samt Adressen, wer eine Einladung zur Trauerfeier bekommt, wie “ihr” Trauerspruch von Antoine de Saint-Exupéry lautet und wie die Traueranzeige aussehen soll. Auch das Bestattungsinstitut im Dorf nebenan ist schon gebrieft – und der Ort, an dem ihre Asche verstreut werden soll, steht auch fest. Ich befinde mich im Ausnahmezustand – eine Melange zwischen Schockstarre, Trauer und tiefer Rührung.
Über 20 Jahre lang habe ich mich kaum für meine Mutter interessiert. Weil ich so vernagelt war und ihr vieles einfach nicht verzeihen konnte. Wie schmerzhaft muss es für eine Mutter sein von der eigenen Tochter abgelehnt zu werden? Heute weiß ich, dass sie ihr Bestes gegeben hat und größtenteils selbst überfordert war. Erst nach meiner Trennung vor 2,5 Jahren begegnen wir uns neu und können den Gordischen Knoten lösen. Mittlerweile ist eine Art Heilungsprozess in Gang gekommen – in beide Richtungen. Weil wir die schmerzhaften Erinnerungen von damals von allen Seiten beleuchten und gegenseitig Verständnis, Liebe und Mitgefühl für den jeweils anderen besteht. Ich bin beeindruckt, wie weise meine preußische Mutter ins Leben schaut. Wie konnte ich das nur übersehen? Sie ist meine engste Vertraute, meine wertvollste Unterstützung und mein größter Fan. Dabei habe ich mich so lange benachteiligt und ungeliebt gefühlt.
Ich hätte nie gedacht, dass Vergebung bedeutet, sich selbst zu heilen. Man kann im Gefängnis der Vergangenheit leben, oder man kann die Vergangenheit als Sprungbrett nutzen, das einem hilft das Leben zu erreichen, das man führen will.
It’s never too late to forgive.
Let’s do it.